Dilemmamethoden
Viele Unterrichtsmethoden leiten zu einer strukturierten Bearbeitung von Situationen an, die Möglichkeiten für moralische Dilemmata beinhalten. Zusammenfassend werden sie als Dilemmamethoden bezeichnet.
Die dabei verwendeten Dilemmata sind so real, dass sie bei Schülern echte Betroffenheit auslösen können, obwohl sie selber nicht persönlich involviert sind. Die Rolle des Lehrers ist dabei die eines Gestalters der Lernumgebung und ggf. eines Beraters. Der Unterricht erfolgt in mehreren Schritten. Verschiedene Vorschläge zu Dilemmamethoden setzen unterschiedliche Schwerpunkte und unterscheiden sich z. B. in der Reihenfolge und Anzahl der Schritte. Im Folgenden werden allgemeine Schritte beschrieben, die in der Mehrzahl von Methodenvorschlägen vorkommen. Dabei handelt es sich um eine „Synthese“ mehrerer Vorschläge, insbesondere der von Hößle (2006) und Lind (2003). Auf die Unterschiede der einzelnen Vorschläge wird hier nicht eingegangen. Zur Information über die Besonderheiten bestimmter Methoden einzelner Autoren bieten wir das Literaturverzeichnis (Auswahlmenü unten, "weiterführende Informationen") an. Ein praktisches Beispiel für eine Dilemmadiskussion finden Sie hier.
1. Schritt: Konfrontation mit einem moralischen Dilemma und spontane Standortbestimmung der Schüler
Alle Methoden haben gemeinsam, dass anfangs die Entscheidungssituation beschrieben wird. Diese sollte möglichst interessant und authentisch sein und ihrer Lebenswelt nahe stehen. Dies ist zum Beispiel bei dem Dilemma „Querschnittslähmung“ der Fall. Dort müssen die Förderung der Forschung an embryonalen Stammzellen und die damit verbundenen Heilungschancen eines querschnittsgelähmten Schülers gegen die Würde und das Leben der Embryonen abgewogen werden.
Angesichts solcher Situationen kommt es erfahrungsgemäß zu einer spontanen Meinungsäußerung der Schüler. Diese sollte anhand einer Abstimmung festgehalten werden, damit sie mögliche Veränderungen ihrer persönlichen Haltung durch die Unterrichtseinheit nachvollziehen können.
2. Schritt: Differenzierte Analyse der Dilemmasituation
Das Ziel dieses Schrittes ist es, den Schülern Wege zu einer fundierten Urteilsbildung aufzuzeigen. Außerdem soll durch die Erweiterung der Perspektive über die eigene Person und Einstellung hinaus das Verständnis für andersartige Positionen gefördert werden. Die Analyse erfolgt in mehreren Schritten:
- Definieren des Dilemmas
Ein rationales Urteil ist nur möglich, wenn Entscheidungssituationen auch in ihrer ganzen Komplexität wahrgenommen werden. Daher sollten die Schüler die deskriptive Seite des vorgestellten Dilemmas mit eigenen Worten richtig wiedergeben können. Insbesondere bei bioethischen Dilemmata ist es wichtig, dass die naturwissenschaftlichen Fakten der Situation korrekt erfasst werden. Dazu gehört z. B. bei Dilemmata zur Stammzellforschung eine genaue Klärung der Frage, wie embryonale Stammzellen gewonnen werden und was dabei mit dem Embryo geschieht. - Analyse von Handlungsoptionen und deren Folgen für Betroffene
In einer Entscheidungssituation stehen sich mehrere Handlungsmöglichkeiten gegenüber. Die Analyse der Folgen aller Handlungsmöglichkeiten ist Vorraussetzung für ein fundiertes Urteil. Die Kenntnis der Folgen möglicher Entscheidungen ist außerdem eine Bedingung für die Übernahme von Verantwortung für das eigene Urteil. - Klärung der betroffenen Werte und Normen
Durch die Identifikation der Normen und Werte, die von einer moralischen Dilemmasituation berührt werden können, können Entscheidungsmöglichkeiten auf die Ebene der betroffenen moralischen Prinzipien und Ziele zurückgeführt werden. Dies ist eine wichtige Bedingung für ein rationales Urteil. - Sammlung von Argumenten für und wider die Handlungsoptionen
Die logische Ableitung von Schlussfolgerungen aus Prämissen geschieht in Form von Argumenten. Das soll hier geübt werden, denn Argumente bilden das Kernstück von Diskussionen und Dialogen zur Bewältigung ethischer Konflikte. - Vergleichende Analyse verschiedener Argumente
Hier sollen die Wertehorizonte und Denktraditionen herausgearbeitet werden, die verschiedenen Arten von Argumenten zugrunde liegen. Da verschiedene Urteile logisch von bestimmten, aber eben unterschiedlichen Wertehorizonten abgeleitet werden können, Entwickeln die Schüler ein Grundverständnis für die Berechtigung unterschiedlicher Urteile.
Unterschiedliche Argumente werden dazu bezüglich ihrer deskriptiven und präskriptiven Aussagen und Normen analysiert. Dabei sollte versucht werden, Argumente zu klassischen ethischen Denktraditionen wie dem Konsequentialismus / Utilitarismus und der deontologischen Ethik (Pflichtethik) in Beziehung zu setzen.
Ergänzend dazu können Argumente auch in Anlehnung an „typische“ Argumente zum Thema Stammzellen geordnet werden.
3. Schritt: Fällen eines persönlichen Urteils, Diskussion andersartiger Urteile
Am Ende werden wieder persönliche Urteile gefällt und in Bezug auf andersartige Urteile diskutiert. Dabei sollen auch die Folgen aller möglichen Urteile berücksichtigt werden. Das eigene Urteil sollte außerdem mit der spontanen Standortbestimmung am Anfang verglichen werden. Dabei sollte auf den Nutzen der detaillierten Dilemmaanalyse für die Entwicklung der eigenen Urteilsfähigkeit eingegangen werden.
Sozialformen
Die verschiedenen Schritte können in unterschiedlichen Sozialformen stattfinden. Es empfiehlt sich, die Schüler anhand von Arbeitsblättern jeden Schritt zunächst einzeln durchführen zu lassen. Danach sollten die Schüleräußerungen im Plenum behandelt und in ein Tafelbild aufgenommen werden. Für die Analyse der Handlungsoptionen, Klärung der Werte und Normen sowie der Sammlung und Ordnung von Argumenten empfiehlt es sich, die Schüler in kleinen Gruppen arbeiten zu lassen. Danach sollten die Gruppenergebnisse im Plenum präsentiert und diskutiert werden. Die Urteilsfällung und –diskussion könnte wieder im Plenum stattfinden. Eine Alternative zur oben genannten Vorgehensweise stellt eine Diskussionsrunde im Unterricht dar.
Option: Diskussionsrunde
Manche Autoren empfehlen die Durchführung einer Diskussionsrunde in der Klasse. Meistens haben die Schüler auch selber das Bedürfnis zum Diskutieren. Bei unseren Unterrichtserprobungen wurden Diskussionsrunden sehr positiv aufgenommen, so dass wir diese empfehlen können. Dabei kann man so vorgehen, dass die Schüler nach der ersten Abstimmung in Kleingruppen eingeteilt werden. Die genaue Analyse des Dilemmas dient dann als Vorbereitung der Diskussion. Eine detaillierte Beschreibung mit Material zur Durchführung einer erprobten Diskussion finden sie hier.
Zum Weiterlesen - Dilemmamethoden
Weiterführende Beschreibungen zu einzelnen Modellen finden Sie in der kommentierten Literaturliste. Eine komplett erprobte Unterrichtseinheit sowie weitere Unterrichtsmaterialien finden Sie hier auf zellux.net. Zur praktischen und schnellen Übersicht über die Merkmale eines guten Unterrichts zur Förderung der ethischen Urteilsfähigkeit wurde eine Checkliste erstellt.