Nutzung von Stammzellen als Testsystemen?

Humane embryonale Stammzellen und auch induzierte pluripotente Stammzellen zeichnen sich durch ihre Plastizität und ihre große Proliferationsfähigkeit aus. Sie besitzen das Potenzial sich in jeden Zelltyp differenzieren zu können und lassen sich nahezu unbegrenzt vermehren. Sie sind aus diesen (und weiteren) Gründen für die biomedizinische Forschung von großem Interesse.

Neben der Grundlagenforschung und der klinischen Anwendung können aus pluripotenten Zellen abgeleitete Zellen auch für die Entwicklung (und Nutzung) stammzellbasierter Testsysteme zur Testung neuer Substanzen auf mögliche pharmakologische Wirkungen (sog. drug screening) sowie für die frühzeitige Bestimmung möglicher toxischer Effekte von Substanzen genutzt werden.

Stammzellbasierte Testsysteme haben gegenüber herkömmlichen Test-Systemen (z.B. in vivo-Studien in Tieren) eine Reihe von Vorteilen. Sie zeichnen sich durch eine bessere Verfügbarkeit und Qualität aus, tragen zu einer Beschleunigung der Arzneimittelentwicklung bei und zu einer unter Umständen deutlich erhöhten Arzneimittelsicherheit. Als ein weiterer Vorzug der pharmakologischen und toxikologischen Nutzung stammzellbasierter Testsysteme wird auch genannt, dass sie möglicherweise einen Beitrag zur Verminderung, Verbesserung oder Vermeidung von Tierversuchen leisten können. In welchem Umfang dies tatsächlich möglich sein wird, ist derzeit nicht seriös abschätzbar.

Aus ethischer (und rechtlicher) Perspektive wirft die Verwendung von menschlichen Stammzellen für Testsysteme eine Reihe von Fragen auf. So ist beispielweise fraglich, ob die ethische Bewertung der Stammzellforschung differenziert ausfallen muss je nachdem, ob ihr Ziel in der Grundlagenforschung, der klinischen Anwendung oder der Entwicklung und Nutzung von stammzellbasierten Testsystemen besteht. Wer menschlichen Embryonen einen bestimmten moralischen Schutzanspruch zuschreibt, der ihre Verwendung und Zerstörung im Zuge der Gewinnung von embryonalen Stammzellen zwar nicht grundsätzlich ausschließt, diese aber – so die Formulierung des Stammzellgesetzes – von der „Hochrangigkeit“ des konkreten Forschungszieles abhängig macht, mag im Hinblick auf die angesprochenen Ziele durchaus Unterschiede sehen. Etwas generalisierend kann man hier von einem Konflikt zwischen dem Prinzip der Leidverminderung (z.B.: Heilung oder Behandlung von Krankheiten beim Menschen) einerseits und dem Prinzip des Respekts vor dem Wert menschlichen Lebens (Embryo) andererseits sprechen.

Fraglich ist darüber hinaus, wie die Entwicklung und Nutzung von stammzellbasierten Testsystemen im Hinblick auf eine mögliche Reduzierung von Tierversuchen zu bewerten wäre. Die Vermeidung oder Verringerung von Tierversuchen gilt derzeit nicht als ein „hochrangiges“ Forschungsziel, das eine Nutzung embryonaler Stammzellen rechtfertigen würde.  Für die große Mehrheit der ethischen Ansätze und Traditionen stellt die Zufügung von Schmerzen oder Leiden (auch bei Tieren) aber einen Unwert dar, den es nach Möglichkeit zu vermeiden gilt. Dies könnte ein guter Grund dafür sein, die mögliche „Hochrangigkeit“ von Forschungsvorhaben, die primär auf eine Vermeidung oder Verringerung von Tierversuchen abzielen, nicht von vorneherein zu verneinen sondern im Einzelfall zu prüfen. Der Schutz empfindungsfähiger Tiere wäre dabei gegebenenfalls gegenüber dem (abgeleiteten) Schutz (humaner) embryonaler Stammzellen oder induzierter pluripotenter Stammzellen höher zu gewichten.


Tiefergehende Informationen

Literatur:

Ach, Johann S. (2016): Reduzierung von Tierversuchen durch stammzellbasierte Testsysteme? Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik (in Vorb.)

Ach, Johann S. (2016): Stammzellen als Testsysteme? Tierethische Perspektiven (in Vorb.)
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